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Schreibregeln für Autoren: Das Problem mit “Show, Don’t Tell”

“Show, Don’t Tell” hat sich nicht erst seit heute zu einem der häufigsten Schreibtipps entpuppt, mit dem Autoren konfrontiert werden. Aber was hat es mit diesem Schreibtipp überhaupt auf sich, und wie stark kann und sollte man sich wirklich daran orientieren? Gastautor Blaustern hat die Schreibregel unter die Lupe genommen und zeigt dir in diesem Beitrag auf, wie du am besten mit “Show, Don’t Tell” umgehen solltest.

Mein Beef mit „Show Don‘t Tell“

Ein bekanntes Sprichwort sagt: „Verkaufe einem Mann einen Fisch, und du hast Einnahmen für einen Tag. Erkläre ihm, wie kompliziert das Fischen ist, und du hast einen Kunden für den Rest deines Lebens.“

Kennst Du den Spruch anders? Vielleicht habe ich da etwas verwechselt…

Ich möchte Dir in diesem Beitrag die Gründe aufzeigen, warum ich „Show Don‘t Tell“ für einen schlechten Ratschlag halte, egal an welchem Punkt deines Lernprozesses Du Dich befindest.

Da wir als Schreibende wissen, dass Sprache nicht „einfach passiert“, werden wir uns auch mit der Semantik dieser Formel beschäftigen müssen. Das Hauptaugenmerk dieses Beitrags liegt selbstverständlich auf der Frage: „Was brauche ich, um gut zu schreiben?“ und den Problemen, die meines Erachtens die Formel „Show Don‘t Tell“ dabei erzeugt, anstatt Probleme zu lösen.

Die Semantik von „Show Don‘t Tell“

Erst einmal müssen wir uns einigen, was ein „guter Ratschlag“ ist. „Iss niemals gelben Schnee!“ fällt meiner Meinung nach darunter. Oder auch: „Geh als Kind abends nur mit Menschen nach Hause, denen du vertraust!“ Ein letztes Beispiel: „Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Der Spruch ist nicht als Imperativ formuliert, aber er nimmt dem Adressaten die Angst, kurzfristig dumm zu wirken, indem er die Angst mehrt, für immer dumm zu bleiben.

Warum fange ich damit an, wenn es um die Semantik von „Show Don‘t Tell“ geht? Allen den o.g. Ratschlägen ist gemein, dass sie den Benutzer „entlassen“: Sicher, es gibt zu allen drei Beispielen Ausnahmesituationen, in denen andere Dinge zu berücksichtigen sind – aber im Wesentlichen kann ich diese drei Sprüche nehmen und eigenständig anwenden, ohne dass mir jemand dabei das Händchen hält.

Ein Ratschlag ist selbsterklärend. Können wir uns darauf einigen?

Kommen wir also zur Semantik dieser Formel, die da sagt: „Show, don‘t tell!“ oder zu Deutsch: „Zeige, statt zu erzählen.

Ich werde nun alle Aussagen herausarbeiten, die in diesem Spruch stecken:

  1. Zeigen ist gut.
  2. Erzählen ist schlecht.
  3. Die Kategorien „Zeigen“ und „Erzählen“ beschreiben Tätigkeiten, die einander komplementär gegenüber stehen.

Wir haben oben gesehen, dass auch gute Ratschläge häufig ein klares Werturteil beinhalten: zwischen Gegensätzlichem: Gelber Schnee (versus normalem Schnee), alleine nach Hause gehen (versus in Gesellschaft), fragen (versus nicht fragen).

Warum ist das hier also ein Problem?

Als Schreibende „zeigen“ wir eigentlich gar nichts. Zumindest im wortwörtlichen Sinne ist alles, was wir tun, erzählen. Wenn wir nun fairerweise einräumen, dass dieses „zeigen“ im übertragenen Sinne gemeint ist, dass wir als Schreiberlinge „Kopfkino“ erzeugen sollen, dann müssen wir jedoch immer noch festhalten: Zeigen steht Erzählen nicht komplementär gegenüber – es ist eine besondere Form des Erzählens. Es ist ein Stil, der die Leser:innen „näher dran“ am Geschehen sein lässt. Und dieser Stil ist an jeder Station deines Schreibprojekts besser und vorzugswürdig – wenn wir nach der Formel gehen!

Dies ist das Ergebnis, das Du als sprachsensibler Mensch sehr wahrscheinlich aus „Show Don‘t Tell“ herausgelesen hast, nachdem man sie Dir einige Male präsentiert hat. Zoomen wir weiter rein!

Die Macht hinter der Kamera: Was „Show Don‘t Tell“ wirklich meint – und wann das gut ist.

Um erst einmal einige Dinge vorab zu klären: „Show Don‘t Tell“ ist ein Ratschlag oder eine Formel, die uns helfen soll, unseren Stil zu verbessern. Ich räume das an dieser Stelle wohlwollend ein, auch wenn dieser Disclaimer leider nicht jedes Mal mitgeliefert wird, wenn jemand Dir zu „Show Don‘t Tell“ rät.

Stil ist zu trennen von gutem Story-Telling, also der Fähigkeit, ein Thema, eine Handlung zu entwerfen, diese in spannender Weise zu entfalten und zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen. Ich bin nicht hier, um Dir zu sagen, in welcher Reihenfolge Du Dir welche Fähigkeiten aneignen sollst, aber aus meiner Rolle als Leser kann ich Dir sagen: Wenn Du plastische Situationen beschreiben kannst, aber Deine Helden unsympathisch oder langweilig sind, ihre Ziele und Probleme mich nicht jucken – dann kannst du das Innenleben ihres Abfalleimers so lebhaft beschreiben wie Du willst: Ich werde Dein Buch beiseite legen.

Beispiel

Kommen wir aber zum Kern der Sache! Als Beispiel für „Show Don‘t Tell“ schauen wir uns eine geschwätzige Nachbarin an:

Erzählend (also falsch): Frau Schmidt war eine Klatschtante.

Zeigend (also richtig): Als wir an ihrem Wohnzimmer vorbei kamen, reckte Frau Schmidt ihren Kopf zum Fenster heraus und fragte in gewohnter Manier: „Hast du etwas Neues von Frau Peterkords Gatten gehört? Er soll sich auf einer Geschäftsreise eine – du weißt schon was – Krankheit zugezogen haben…“

Hinter der Forderung nach „Show Don‘t Tell“ stecken, wie das o.g. Beispiel zu belegen scheint, folgende Postulate:

  1. Weniger Arbeit mit Klischees und Stereotypen! Wir wollen über Menschen aus Fleisch und Blut lesen – nicht über grotesk vereinfachte Archetypen.
  2. Mehr Vertrauen in die Leser:innen! Statt ihnen einen Werturteil der Protagonist:innen vorzusetzen, zoomt rein ins Geschehen und lasst sie selbst ein Urteil fällen!
  3. Wahrt den Leseflluss! Werft uns nicht aus dem Geschehen heraus, sondern führt uns durch eine lebhafte Szene!

Zu 1.: Hattest du den Eindruck, in der „richtigen“ Beschreibung eine weniger klischeehafte Figur kennengelernt zu haben? Wenn wir eine unwichtige Randfigur durch eine Charakterschwäche in einer einzigen Szene charakterisieren, haben wir unser Klischee nur bunter ausgemalt.

Zu 2.: „Chekov‘s Gun“! Im Reich der irreführenden Schreibformeln sagt uns „Chekov‘s Gun“, dass jede Pistole, die ausführlich beschrieben worden ist, an irgendeiner Stelle auch abgefeuert werden muss. Das ist ganz schön blöd, wenn du eigentlich nur eben ein paar Bewohner der Straße deiner Protagonist:innen einbringen wolltest – und deine Leser:innen jetzt glauben, dass Frau Schmidts Tratsch über Herrn Peterkords „Show Don‘t Tell“ (sorry, „Show Don‘t Tell“) an späterer Stelle noch einmal wichtig sein wird!

Zu 3.: Nehmen wir mal an, dass Du einen glaubwürdigen Protagonisten erschaffen hast, mit dem sich die Leser:innen identifizieren. Wenn du wirklich die Straße des Geschehens nur schnell mit einigen Menschen füllen wolltest, damit sie nicht menschenleer und unwirklich erscheint – warum solltest du die Leser:innen mit Details über diese Figuren belästigen und womöglich sogar die Spannung aus der Geschichte nehmen?

Fazit

Exerziere jedes der Beispiele, das man Dir als Musterexempel für „Show Don‘t Tell“ vorsetzt, in dieser Art und Weise durch. Du wirst sehen: Es kommt immer drauf an.

Auch wenn „Show Don‘t Tell“ nur auf Deinen Schreibstil abzielt, muss es für Dich höchste Priorität haben, auf ein von Dir gesetztes Ziel hin zu schreiben. Was willst Du ausdrücken? Was ist das Thema Deiner Geschichte? Und abhängig von diesen übergeordneten Entscheidungen und Gedanken kann es geboten sein, die Kamera näher an das Geschehen heran zu bewegen – oder eben in die Vogelperspektive! Denn für „Kopfkino“ habe ich persönlich eine Menge übrig. Aber wenn Du Dich als Regisseur siehst, der mit Buchstaben einen Film im Kopf seiner Leser:innen erzeugt, dann ist das „Close-Up“ nur eine Kamera-Einstellung von vielen.

Nimm gerne die Metapher von der Kamera! Ich habe Dir versucht zu zeigen, wie verwirrend „Show Don‘t Tell“ in semantischer Hinsicht ist – die Vorstellung, dass du als Regisseur:in Worte in Bilder verwandelst, finde ich dagegen sehr hilfreich. Denn sie gibt Dir die Macht, rein- und rauszuzoomen, zu schwenken und die Schauplätze und Figuren zu wechseln. Und so soll es sein: Du sollst die Macht haben. Du sollst Deinen Stil, Deine Stimme entwickeln.

Und für diese Reise bitte ich dich: Suche dir Leute, die Dir die Macht geben wollen, selbst zu fischen – und sei vorsichtig mit denen, die Dich von ihnen abhängig machen wollen.

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Blaustein

Ich bin Blaustein, Bochumer Autor des Jahrgangs 1988. Ich habe Projekte in den Gebieten Sci-Fi und Geschichte geplant, doch mein Schwerpunkt liegt zur Zeit auf Fantasy, besonders meinem aktuellen Projekt, dem Abenteuerroman “Brüdergesänge aus der Toten Ebene 1: Im Schatten des gelben Banners”, der im Juno 2023 erscheinen soll. Mein Interesse an “Show, Don’t Tell” rührt von meinem eigenen Lernprozess und meinem grundsätzlichen Schwerpunkt auf einer gründlichen Auseinandersetzung mit Sprache.

Web: www.autor-blaustein.de 

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